Am Rande des Brunnens
- Anna Böllert
- 3. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Predigt über Joh 4, 5-14
Gehalten am 3. Sonntag nach Epiphanias, dem 26.01.2025
Ort: Kirche St. Gabriel, Hamburg Volksdorf
Ich habe heute zum Anfang eine Frage.
Wann – haben Sie das letzte Mal tief in einen Brunnen geblickt?
Oder ein bisschen einfacher -
Wann – haben Sie eigentlich das letzte Mal einen echten Brunnen gesehen?
Ich meine keinen Springbrunnen und keinen Zierbrunnen,
die in Stadtzentren oft leicht verschwenderisch, aber sehr kunstvoll
ihr Wasser in die Weite speien und einfach hübsch anzusehen sind -
sondern ich meine so einen aus Steinen gemauerten Brunnen,
der meterweit in die Tiefe reicht
und dunkel am Grund ist.
Sie verschwinden aus unserem Stadtbild und Alltag
Und ein bisschen auch aus unseren Köpfen,
diese Brunnen mit dem gemauerten Steinrand,
Schade eigentlich, denn zumindest die alten Geschichten erzählen uns,
dass sich dort mystische, verheißungsvolle Szenen abspielen können.
Im Märchen Frau Holle stellt der Brunnen die Verbindung zur Unterwelt dar – und das fleißige Mädchen, das in den Brunnen fällt, findet sich in einem schönen Garten wieder, wo sie später Frau Holle trifft.
Im „Froschkönig“ - fällt die goldene Kugel der jungen Königstochter
in einen Brunnen, der so tief ist, dass sie den Grund nicht sehen kann
und das Märchen beginnt.
Auch im Alten Testament tauschen Brunnen
in den verschiedensten Zusammenhängen auf:
Mal wirbt jemand dort um eine Frau,
Josef wird von seinen Brüdern hineingeworfen –
Und Hagar ahnt nichts, flieht, und wird an einem Brunnen
von einem Engel gefunden, der sagt: Gott sieht Dich.
*
An einem solchen Brunnen steht eine Frau ohne Namen
in unserem heutigen Evangelium.
Sie weiß um Traditionen und Geschichten,
und doch erschließt sich ihr nicht die Gegenwart.
Dass dies der Brunnen Jakobs ist,
den er selbst für seine Nachfahren gegraben haben soll,
hilft ihr nicht bei der mühsamen Arbeit des Wasserholens.
Dass Josef einst aus dem Brunnen gerettet wurde
Rettet sie nicht vor der Stigmatisierung, mit der sie lebt.
Als Samaritanerin wird sie von Juden gemieden,
als Frau ist sie namenlos, allein.
(Später in der Erzählung können wir ihr hartes Schicksal nur erahnen.)
Sie schöpft Wasser, schöpft in der Tiefe der mythischen Erzählungen.
Und in der glühenden Mittagshitze zieht sie
mit Schweißperlen auf der Stirn einen Eimer Wasser hoch.
*
Meine lebendigste Erinnerung an Brunnen ist
der Brunnen im Garten meiner Großeltern,
Das ist kein Witz, sie hatten so einen tiefen, gemauerten Brunnen.
Er hatte ein kleines Holzdach und einen Eimer,
der an einer Seilwinde befestigt war.
Bei meiner Recherche zur heutigen Predigt habe ich gelernt:
Das ist ein sogenannter Schachtbrunnen,
7 bis 10m tief, gebaut, um das Grundwasser ans Tageslicht befördern..
Ich weiß noch,
Als Kind musste ich mich mit den Armen hochstemmen
und auf Brunnenrand klettern,
um hineinsehen zu können.
Natürlich nur, wenn niemand geguckt hat, das war verboten.
Unten war zu meiner Enttäuschung kein frisches Wasser,
sondern es roch einfach modrig, kalt.
Hineinzugucken war ein bisschen beklemmend.
Aber auch unfassbar faszinierend.
Mittlerweile weiß ich,
und das nimmt mir leider ein bisschen des Zaubers,
dass auch das ein Zierbrunnen war,
ein Gartenbrunnen.
Vielleicht mit einem historischen Kern -
– aber dann aus ästhetischen Gründen
Stehen gelassen und aufgehübscht.
Den Eimer hat niemand benutzt.
Meine Großeltern hatten nämlich durchaus
fließend Wasser im Haus.
*
Nicht so aber die Frau in unserer biblischen Erzählung.
Sie hat den Mann noch nicht bemerkt, der sich ihr nähert.
Sie wirft den Eimer erneut hinab. In die dunkle Tiefe.
Auf dem Grund sammeln sich: Abgestandene Glaubenssätze.
„Samaritaner haben keine Gemeinschaft mit Juden.“
„Frauen schweigen, wenn Männer reden.“
"Du gehörst hier nicht dazu."
Vielleicht kennen Sie solche Sätze auch aus der Kirche,
aus der Gesellschaft oder der Familie.
Sätze, die wir aus der Vergangenheit schöpfen
– die uns aber eigentlich weder erfrischen, noch lebendig machen.
"So verlangt es die Tradition"
"Reiß Dich mal zusammen."
"Was sollen die Leute denken?"
„Das haben wir schon immer so gemacht.“
Und dann durchbricht ein Satz alle Gedanken
und schmerzhaften Erinnerungen
und führt zurück in die Gegenwart.
"Gib mir zu trinken."
Jesus bittet sie, eine Samaritanerin, um Wasser.
Sie ist verwundert. Fragt nach
und eine Unterhaltung entspinnt sich.
Kennt er die Traditionen und Regeln nicht?
Kümmern sie ihn nicht?
Sie fragt:
"Bist du etwa mehr als unser Vater Jakob,
der uns diesen Brunnen gegeben hat?"
Und dann verspricht Jesus ihr – lebendiges Wasser.
Und er sagt:
„Wer von diesem Brunnenwasser trinkt, den wird wieder dürsten;
wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe,
den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser,
das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden,
das in das ewige Leben quillt.“
*
Ich sehe diese Szene vor mir –
Auf der einen Seite: Das leicht abgestandene Brunnenwasser,
alte Erzählungen und Traditionen,
und auf der anderen Seite: Das Versprechen vom Wasser des Lebens,
Wie Sprudelwasser in der Sommerwerbung,
Gletschergefiltert natürlich,
die Flasche zischt beim Öffnen,
Sonnenlicht bricht sich im Glas, wenn man zum Trinken ansetzt
und feine Tröpfchen benetzen und erfrischen die Haut.
Es muss sich anfühlen wie das Trinken direkt aus Bergbächen,
die glucksend über Steine rinnen
und dem müden Wanderer den Weg ins Tal zeigen.
Kein Quietschen der Seilwinde, keine Schweißperlen als Preis.
Nicht mehr das Gefühl, eine namenlose, verstoßene Frau zu sein.
Jesus spricht von einer Quelle, die fließt,
kein Dürsten, keine Mühe mehr.
Etwas später wird Jesus sagen: „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt,
von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen“
In der Begegnung mit der Frau wird eine Dimension Gottes erzählt,
die heilsam ist. Jesus sagt der Frau zu:
Du kannst eine eigene Beziehung zu Gott haben.
Durch mich. Durch den heiligen Geist.
Sprudelnd und frisch.
Gott ist dann nicht nur, was er für unsere Väter war.
Gott will nicht restauriert oder errettet werden
durch Verbote und Lehre, sondern er will gelebt werden
als befreiende Gegenwart, die sich ihren Weg bahnt,
wie sprudelndes Wasser.
Eine Beziehung zu Gott ist nicht hart wie der Stein,
in das die Gebote gemeißelt sind,
sondern dynamisch und kraftvoll wie frisches Wasser.
Und Du - Du bist an der Quelle.
In Dir ist eine Quelle. Du bist Quelle.
Auch für eigene Geschichten mit Gott.
Eine schreiben wir gerade jetzt. Du und ich.
Und Du bist keine Nebenperson, sondern Hauptperson.
*
Und hier sitzen wir – hören diese alte Geschichte.
Denken an Brunnen und Quellen, an Sprudelwasser und Sommerfrische.
Hören Woche für Woche die Erzählungen,
die unsere Religion prägen – und manchmal auch festhalten.
Denn Gott ist nicht nur, was er für unsere Väter war.
Seine Gegenwart erschöpft sich nicht
in den überlieferten Formen und Erzählungen.
Er ist nicht gebunden an vergangene Zeiten.
Sondern er sucht – in Dir, mit mir – Gegenwart. Begegnung.
Kein Kind ist in den Brunnen gefallen. Keine Chance ganz vorbei.
Jesus sagt: „Wer an mich glaubt, von dessen Leib
werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“
Ein gewaltiges Versprechen, für die Samaritanerin am Brunnen
und für Dich und mich heute. Nicht nur: lebendig werden.
Sondern selbst lebendig machen.
Vielleicht fühlt sich das so an:
Sprudelnde Ideen. Begeisterung, die andere mitreißt wie ein Strom.
Erfrischende Ansätze. Worte, die wirklich Durst stillen.
Sich mal wieder am Brunnen treffen.
Um die alten Geschichten wissen. Vergangenes ehren.
Aber doch auch: Weiterziehen.
Amen.




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