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Kitsch zu Kantate

Predigt über Kol 3, 12-17 (insb. 15a)

Gehalten am Sonntag Kantate, dem 18.05.2025

Ort: Kirche am Rockenhof, Hamburg Volksdorf


Diese Kurzpredigt war Teil einer Predigtcollage, in der jeder Beitrag einen anderen Vers und Gedanken des Predigttextes in den Mittelpunkt gestellt hat.



Beim Stöbern durch das Bücherregal im Gemeindehaus

fiel mir vor ein paar Tagen ein kleines Büchlein in die Hände.

Vergilbt, leicht muffiger Geruch, mit dem Titel „Ich denke dein“.

Untertitel: „Nützliches und Ergötzliches für Verliebte“, aus dem Jahre 1977.


Neben wirklich rührseligen Gedichten,

die jeden Rosamunde Pilcher Dialog in den Schatten stellen

und einem Kapitel über „Die zierliche Kunst verliebter Briefe“

finden sich dort auch - passend für den heutigen Tag:

„Lust und Leid im Liede – Gesänge, unter dem Balkon zu singen“.

Ich wüsste zu gerne, ob eine dieser Balladen tatsächlich mal

unter einem Balkon oder Fenster geträllert wurde

und ob eines der Gedichte wirklich mal ein Herz erweicht hat.


Fest steht – wo es um Liebe und Gefühle geht, ist der Kitsch nicht weit.


Das gilt übrigens auch für die Bibel und das Gesangbuch.

Ich zitiere Paulus, aus dem heutigen Predigttext:

 „Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.“ … hach.

Paulus schreibt, nein – mahnt in diesem Text,

wie wir als Christinnen und Christen miteinander umgehen sollen.

„Über alles aber zieht an die Liebe,

die da ist das Band der Vollkommenheit.“ Wenn es mal so einfach wäre, Paulus.

Die Liebe einfach über alles anziehen – das klingt wie: drüber stülpen

– wie soll das gehen?


Über den nächsten Streit gieße ich einfach Liebe

wie Schokoglasur auf den zu trocken geratenen Kuchen?

Oder ich streue die Liebe vielleicht

haufenweise über die nächste Kränkung

wie buntes Glitzer über misslungenes Bastelprojekt? Viel hilft viel..

All you need – is love. Ist es wirklich so einfach?


Genau das ist, weswegen Kitsch (sorry Paulus) häufig so verschrien ist.

Sei es in der Musik, im Design oder in Telenovelas:

Kitsch lebt von einer Banalisierung, er umgeht die Komplexität unser Welt

und die Probleme, stellt Gefühle in den Mittelpunkt

und es werden keine zarten Zeichen gegeben,

sondern da wird mit Latten gewunken was das Zeug hält,

damit auch der Letzte versteht - allein die Liebe zählt.


Streicher, Rote Rosen, schwülstige Dialoge und am Ende, da ist alles gut.

Und wenn noch nicht alles gut ist – dann ist es noch nicht das Ende. Hach.

So einfach ist die Welt leider nicht.

So einfach sind die Herausforderungen leider nicht.

So einfach sind Konflikte leider nicht.

Nicht jedes Problem lässt sich mit einem Lavendelkissen weginhalieren,

nicht jeder Streit ist nach einer Umarmung wieder gut.

 

Und doch – und jetzt kommt mein ganz großes Aber –

brauchen wir genau das manchmal.

Die Rückkehr zum Kitsch, was sage ich: die Neuerfindung der Schnulze.

Denn wenn wir, als Kirche, als Geschwister in Christus, nicht glauben,

dass die Liebe die eine Antwort ist

– dass, egal was uns trennt und worüber wir gestern noch gestritten haben,

wir einander in Liebe verbunden sind

– wenn wir nicht von den Kanzeln verkünden und im Miteinander leben,

dass die Liebe zu unserem Nächsten, die Liebe zu uns selbst,

gründend in Gottes Liebe zu uns, das große Trostpflaster ist,

das diese Welt so dringend braucht

– dann sind wir nur irgendein Verein.


Dann sind wir hier nur Sozialarbeiter und Redner,

Manager und Bauherren, Verwalter und Musiker.

Aber keine Jüngerinnen und Jünger.

Keine Verkünder der Osterbotschaft und keine Zeugen der Hoffnung.


Und deswegen ist mein Apell heute, und ja, jetzt wird es kitschig:


Streicht die Wände rosa!, schreibt einander mehr Liebesbriefe!,

mit Füller und Parfüm, wenn ich bitten darf.

Lasst den Chor: Liebe ist alles von Rosenstolz singen

oder die schnulzigsten Balladen.

Schenkt einander die große Packung Merci,

nicht nur diese mini-Version mit nur drei Schokosorten,

und einen Strauß Blumen gleich dazu!

Wir brauchen Zuckerwatte zum Frühstück

und dramatische Szenen im Regen, in denen wir einander erklären,

dass die Welt nicht die gleiche ist – ohne Dich und mich darin.


Es lebe der Kitsch.

Es lebe die eine, einfache Wahrheit, die alles übersteigt und die da ist:

Du bist geliebt, so wie Du bist. Wir sind Geschwister.

 

Besinnen wir uns mitten in komplizierten Diskussionen

oder anstrengenden Debatten auf dieses eine Band, das uns verbindet.

Bauen wir darauf das Reich Gottes.

 

Wer dafür Inspiration braucht,

dem möchte ich dieses kleine, feine, vergilbte Büchlein an Herz legen,

das ich übrigens ins Regal zurückgestellt habe,

wer nachher schnell ist, kann es gegen eine geringe Spende für Obdachlose

gleich im Gemeindehaus erwerben.

Und wer es eher traditionell-biblisch und doch auch ein bisschen kitschig mag,

für die oder den schließe ich mit:


„Gott ist die Liebe;

und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“

Amen.



Es lebe die rote Rose und das Kerzenlicht und die Altglasverwertung und die Zartheit des Augenblicks.
Es lebe die rote Rose und das Kerzenlicht und die Altglasverwertung und die Zartheit des Augenblicks.

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