Mountainbike und Regenbogen
- Anna Böllert
- 24. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Juni
Predigt über 1. Mose 8,18–22; 9,12–17 und Mk 10, 2-9
Gehalten am 20. Sonntag nach Trinitatis, dem 13.10.2024.
Ort: Kirche St. Gabriel, Hamburg Volksdorf
Am Ende dieses Sommers, Anfang September, war ich mit meinem Mann Wes und Freunden von ihm Mountainbike fahren in Schottland. In den Highlands, sieben Tage nur Berge und Weite, zottelige Rinder und reißende Flüsse, aber kaum andere Menschen.
Das ist unser Deal – er ist für mich in den flachen Norden gezogen, dafür mache ich mit ihm, wann immer er es braucht, Urlaub in den Bergen.
Ich habe zwar gesagt: Ende des Sommers, aber es hast sich eher angefühlt wie mitten im Herbst - und wir waren mit Zelten unterwegs. Mit Sommer-Schlafsäcken und einem dicken Pulli, falls es mal kalt wird. – Spoiler: Es wurde kalt. Ständig. Es hat jeden Tag geregnet – manchmal nur ein bisschen am Morgen, manchmal morgens und abends, manchmal den ganzen Tag. Es waren die ersten Nächte mit Frost und ich habe an Tag 2 bereut, mitgefahren zu sein.
Ich war, im Englischen sagt man: grumpy. Und dann haben wir in einem Pub in einem Tal zwei andere Mountainbiker getroffen, die gerade genau den Berg bezwungen hatten, der vor uns lag. Und sie haben uns erzählt, wie sie oben, bei den letzten Kilometern des Anstiegs, von einem Sturm überrascht wurden, der so heftig war, dass sie keinen Schritt mehr schieben, geschweige denn fahren konnten. Und um nicht vom schmalen Gebirgspfad einfach ins Tal gepustet zu werden, haben sie sich flach auf den Boden gelegt, zwischen Pfützen und Steine (wenn man einmal so richtig durchgeregnet ist, ist das auch egal) und haben gewartet, bis der Sturm vorbei war.
Spätestens da wusste ich: Ich bin im falschen Film, bzw. im falschen Urlaub. Ich habe so viel Zorn und Härte in mir gespürt. Warum muss sich mein Urlaub anfühlen wie eine RTL2 Survival-Show?
Und dann kam der Berg, vor dem wir gewarnt wurden. Es gibt nichts zu beschönigen, der Anstieg war hammerhart. Er zog sich ewig, ein steiler Abhang rechts von mir, nur nicht das Gleichgewicht verlieren. Natürlich regnete es, meine Handschuhe waren kalt und nass und ich verlor die Gruppe aus dem Blick, die letzten Kilometer musste ich mit weichen Knien schieben. Je höher man kommt, desto lebensfeindlicher wird alles um einen herum. Meine Laune war am Tiefpunkt, der Scheidebrief innerlich geschrieben, ich dachte: Nie - wieder!
Irgendwann erreichten wir die Spitze des Berges und wer jetzt meint, das sei ein froher Moment, alle Last fällt ab – man fällt sich glücklich in die Arme – leider nein. Leider gar nicht. Ganz oben auf so einem Berg ist es bitterkalt und ultimativ windig. Inmitten von Nebel und Regen sieht man eigentlich nichts. Also zieht man sich den Schal über die Nase, pustet sich dreimal in die zitternden Hände – und hofft, die nassen Bremsen halten die Abfahrt durch.
Über nasses Geröll ging es also steil wieder nach unten, der Regen peitschte uns ins Gesicht und ich dachte mir: morgen breche ich, wie auch immer, diese blöde Tour ab. Kein Spruch oder Versprechen von Wes konnte mich aufheitern. – grumpy.
Aber dann – stoppte der Regen. Wir rasten auf den Fahrrädern den Berg runter, meine Handgelenke schmerzten von der ganzen Erschütterung und je weiter ins Tal wir kamen, desto mehr Vegetation kam zurück. Keine graue Steinwüste mehr, sondern grünes Moos neben mir. Und in einem Anflug poetischer Zärtlichkeit dachte ich: Wenn diese Blume hier leben kann, dann kann ich das auch.
Radfahrer werden mir beipflichten: Man erlebt die Natur so viel intensiver. Die Kälte, die Nässe, die Erschöpfung. Aber auch: Die Erleichterung, wenn die Sonne durch die Wolken bricht. Das Aufatmen – und dann kam der Moment, wegen dem ich das hier alles erzähle:
Nach einer langen Kurve unterbrachen wir die Abfahrt kurz, um zu verschnaufen. Wir drehten uns um, um die Strecke zu sehen, die wir schon geschafft hatten
– und da thronte ein riesiger Regenbogen über der Bergspitze.
Mit einem kleinem Seitenhieb in Richtung Noah, muss ich erzählen: Es war ein doppelter Regenbogen. In perfekter Ausführung. Der schönste, den ich je gesehen habe.
Und Naturphänomen und wissenschaftliche Erklärung hin und her,
in diesem Moment hat mir eingeleuchtet, warum er ein Symbol für Gnade ist.
Ich habe plötzlich so viel Gnade gespürt. Gnade mit mir selbst: Selbstvorwürfe machen mich auch nicht schneller, im Gegenteil. Gnade mit den anderen und Wes, kein Scheidebrief, kein Abbruch der Tour. Da war nur: Erleichterung. Milde. Versöhnung mit der Situation, dem Anstieg, dem Frust. Und eine neue Leichtigkeit. Es geht weiter.
In der alttestamentlichen Erzählung von Noah und der Arche ist der Regenbogen das Zeichen für Gottes Bund mit uns Menschen. Gott fängt neu mit uns an.
Und zentral in diesem Zusammenhang erscheint mir: Der Mensch ändert sich nicht. Auch nicht nach der Sintflut. Sein Herz ist verderbt, von Anfang an und für immer. Wir bleiben, wie wir seit Beginn sind. Voller Liebe und Hass, voller Großzügigkeit und Neid, voller Zweifel und Glauben, voller Wut und Zartheit. Aber Gottes Einstellung dazu ändert sich, er entscheidet sich, auf unsere Gewalt gegen und selbst und andere nicht auch mit Gewalt zu reagieren, sondern mit Gnade. Und das heißt: Liebe trotz allem. Liebe inmitten von alldem.
Auch wenn wir weiter Fehler machen, harte Herzen haben. Davon erzählt auch der zweite Text, den wir gehört haben, die Evangelien-Lesung. Darf man sich scheiden lassen, versuchen die Pharisäer Jesus – wenn Gott doch eigentlich seinen Segen über Eheleute legt.
Und Jesus sagt: Eigentlich – ist das so nicht gedacht. Das ist nicht die Idee einer Ehe, dass man sich wieder scheiden lässt.
Aber es gibt harte Herzen und Verletzungen. Enttäuschungen und Streit.
Wir leben nicht in einer perfekten Welt.
Auch was gut gemeint ist, kann schlecht ausgehen.
Und die Ambivalenz oft: Es könnte so gut sein. Der Schottland-Urlaub. Die Ehe.
Ist es dann aber irgendwie doch nicht.
Diese Spannung zwischen Sollen und Sein prägt unser Leben.
Es gibt: Das Scheitern und das falsch Abbiegen. Auseinandersetzungen, Neid, Missgunst, Zorn.
In Ehen. Auf mtb Touren. Überall.
Auch, wenn Gott das anders für uns will.
Auch, wenn wir das anders für uns wollen.
„Sündige tapfer.“, schreibt Martin Luther 1521
an seinen Freund und Mitreformator Philipp Melanchton.
„Sündige tapfer“ – „Aber noch tapferer glaube.“
Denn all das,
das Gelingen und das Misslingen,
die guten und die schlechten Momente,
sieht Gott voller Liebe und Gnade an.
Polarlichter über Hamburg.
Sonnenuntergänge, die einem die Sprache verschlagen.
En Regenbogen für Noah.
Manchmal tut es gut, einfach durchzuatmen
und in den Himmel zu schauen.
Vielleicht reicht das schon als Punkt und Schlusssatz für heute
und ist die beste Erkenntnis,
die wir aus den Texten mitnehmen können.
Einfach mal stehen bleiben. In den Himmel gucken.
Das wird schon.
Das ist schon gut geworden.
Und wenn nicht: Dann gibt es Scheidebriefe und Neuanfänge.
Es gibt Notausgänge und beste Freunde
mit großen Taschentuchpackungen.
Es gibt Stoßgebete und Wunderheilungen.
Es gibt Abkürzungen und die schottischen Bergretter,
Paar-Therapie-Sitzungen
und spontan gebuchte All-Inklusive Urlaube in der Sonne.
Es gibt Tintenkiller, Radiergummies und die Delete-Taste.
Und es gibt: Jede Menge Gnade.
In allen Farben und Formen, für alle Menschen.
Für deine Versuche und Fehler.
Gnade für tapfere Sünden,
für harte Herzen und kalte Füße.
Gnade für Dich und Mich.
Amen.









Liebe Anna,
ich lese deine Texte gerne und schaue jeden Tag nach, ob es noch weitere gibt. Ich freue mich darauf. Liebe Grüße Hans