Predigt zum Abschied
- Anna Böllert
- 16. Juli
- 6 Min. Lesezeit
Predigt über 2. Samuel 7, 1-11
Gehalten am 1. Sonntag nach Trinitatis, dem 22.06.2025, anlässlich meiner Entpflichtung und Verabschiedung.
Ort: Kirche am Rockenhof, Hamburg Volksdorf
10. Juni 2025 - Ich schreibe die ersten Zeilen dieser Predigt…- während einer langen Kirchengemeinderatssitzung.
Ich weiß nicht, warum die besten Ideen immer in den unpassendsten Momenten kommen – aber ich habe gelernt: Wenn einem ein Gedanke zufliegt, dann sollte man ihn festhalten. Insbesondere, wenn es ein Predigtbeginn ist.
Wir sitzen im großen Saal und ich lasse meinen Blick wandern durch diese mittlerweile vertrauten Gesichter. Ich erinnere mich an lange Debatten hier und leichte Pausengespräche und denke an die vielen Momente, die wir im letzten Jahr geteilt haben. Mit einigen habe ich auf dem KonfiCamp gemeinsam gesungen, andere in der Tiefkühl-Abteilung bei Lidl getroffen, wir haben große Pläne geschmiedet und kleine Schritte gewagt.
Ich sitze hier und denke: Vor etwas über einem Jahr – das ist wirklich noch nicht lange her – war ich selbst ganz neu. Habe mich im großen Saal dem KGR vorgestellt, eure Fragen beantwortet und mich gefragt, wie es wohl sein wird, hier zu wirken, zu arbeiten, zu leben.
Und vor zwei Jahren? Da kannte ich noch niemanden von euch – oder hier aus der Gemeinde.
Genau das liebe ich am Leben. Am Aufbrechen: dass man nie weiß, wem man begegnet oder was hinter der nächsten Wegbiegung wartet – und dann gibt es diese unverhofften Glücksmomente, wenn man Menschen trifft, bei denen man merkt: Wir sind auf einer Länge. Wir haben ähnliche Ideen. Es macht Spaß, gemeinsam zu arbeiten und zu gestalten.
Und jetzt – sitzen ein paar von diesen Menschen hier, die ich vor zwei Jahren noch gar nicht kannte und vor einem Jahr kennengerlernt habe – und ich würde diese Verbindungen nicht missen wollen.
12. Juni. Ein sonniger Nachmittag. Ich schreibe weiter an dieser Predigt, nachdem ich eine Hunderunde durchs Dorf gedreht habe. Eine lange Schlange vor dem Eisladen. Vor einigen Geschäften stehen Bänke, Menschen sitzen mit einem Getränk in der Sonne. Treffen sich. Man hört Kinder auf der Wippe neben der Bäckerei Junge lachen, ein Junge übt Fahrradfahren. Volksdorf ist ein Dorf und eine Idylle.
Von Freunden, die mich besuchen, höre ich immer wieder, wie schön es hier ist. Mit Wald und Reetdachhäusern, einem Zebra-Streifen vor der U-Bahn, einem waschechten Dorfkern und dem Marktplatz. Ich laufe einem jungen Paar über den Weg, zwei tolle Menschen, die ich letzten Sommer getraut habe und die dann zu Freunden geworden ist. Wir unterhalten uns kurz. „Wir sollten uns viel öfter sehen“, sagen wir zum Abschied und meinen es auch und finden doch die Zeit dafür nicht.
13. Juni, am Vormittag, ich sitze im Zwischenbüro im Gemeindehaus. Geschäftiges Treiben um mich herum. Im Nebenzimmer telefoniert jemand, der Kopierer rattert, nachdem die Fehlermeldung erfolgreich behoben wurde und Andreas, unser Hausmeister, sitzt mir gegenüber und plant seine Besorgungen. Es ist viel zu tun, aber auch: Bürogemeinschaft. Birgit, Lea und Andreas sind heute leider nicht hier, ich hätte ihnen jetzt gerne einen vielsagenden Blick zugeworfen. Ich schreibe weiter an dieser Predigt, als ich eigentlich E-Mails beantworten sollte. Ich glaube, ich sollte mich an dieser Stelle bei allen entschuldigen, die lange auf Mails von mir, auf Sitzungsprotokolle oder Rückrufe warten mussten. Der administrative Teil meiner Arbeit, der KGR Vorsitz, die Verantwortung, das alles ist mir ehrlich nicht leichtgefallen und meine Zeit hier hat mir auch gezeigt, wo meine Stärken nicht liegen. Ich finde, es gehört zu einem Abschied, das auch auszusprechen.
Ich weiß: Damit bin ich nicht allein. Diese strukturelle Überforderung – durch, ich sage einfach mal, das Uneigentliche – ist vielerorts Thema: im Austausch mit Kollegen, in Artikeln über die Zukunft unserer Kirche, in langen, offenen Gesprächen mit meinem Vorgesetzten.
Es scheint mir mit Blick auf den Predigttext beinahe, als wären wir oft so davon eingenommen, die Häuser, die wir Gott gebaut haben, zu verwalten, dass wir manchmal ein bisschen vergessen, den Raum auch so zu gestalten, dass der Heilige Geist darin wehen mag.
13. Juni, am Abend. Ich denke über den Predigttext nach und schreibe weiter. Ich mag diese Szene. Das Ziehen durch die Wüste, die Zeit der Zelte ist vorbei - König David sitzt in seinem Palast und will auch Gott endlich ein Haus bauen. Und Gott antwortet – brauche ich nicht. Später vielleicht, aber habe ich je danach gefragt? Nein. „Ich habe in keinem Haus gewohnt, seit ich die Israeliten aus Ägypten herausgeführt habe, sondern bin in einem Zelt und in einer Wohnung umhergezogen.“
Ein Gott, der zeltet. Ha, das gefällt mir. Ein Gott, der sich nicht einmauern lässt. Der mitzieht. Der David ausrichten lässt: Ich bin mit dir gewesen, wo immer du hingegangen bist. Meine Gegenwart, meine Segen und meine Verheißung beziehen sich nicht auf Mauern, sondern Menschen.
Ich habe diesen Text für heute ausgewählt und er berührt mich, weil er eine so großartige Pointe hat. Gott schließt seine Antwort mit dem Satz: Der Herr will Dir ein Haus bauen. Er meint damit nicht Steine und Pfeiler im wörtlichen Sinne. Er meint das Haus Davids – die Linie, aus der auch Jesus kommen wird. Diese Wendung hat etwas ganz Tröstliches, aber auch Entlarvendes: Nicht Gott ist der Bedürftige. Wir Menschen sind es und bleiben es. Auch wenn wir längst unter Dächern wohnen.
Gott braucht die Häuser nicht, die wir ihm bauen, aber ich denke, er ist manchmal schrecklich gern zu Gast, wenn wir da sind.
Mir macht dieser Text Mut, die starren Vorstellungen, Wege und Strukturen zu hinterfragen, denen wir meinen, in unserem Leben, oder unserem Verständnis von Kirche folgen zu müssen.
17. Juni. Ich schreibe weiter an dieser Predigt, nachdem Timo und ich den finalen Ablauf für diesen Gottesdienst besprochen haben. Vor zwei Wochen haben wir uns zum ersten Mal im Le Rustique getroffen, um meinen Abschiedsgottesdienst gemeinsam zu planen. Bei einem Guinness, ein kleiner Vorgeschmack auf die Pubs, die warten. Ich bringe den Bibeltext mit und versuche zu skizzieren, was mich daran fasziniert - Wir sprechen über das Wohnen, das Gefühl von Zuhause, über Aufbrüche und Häuser. Timo erzählt vom Leben im Reihenhaus, vom Garten und von den großen Entscheidungen und Schritten im Leben. Ich erzähle, dass wir uns letzte Woche ein neues Zelt für den Sommer gekauft haben. Auch keine leichte Entscheidung.
Und irgendwann, als wir schon lange nicht mehr über David und Hausbau sprechen, merke ich: Ich werde vieles hier – ganz ehrlich – sehr vermissen. Und mich hat einiges sehr beeindruckt: Das Herzblut, mit dem sich hier so viele einbringen, und auch das Durchhaltevermögen, mit dem Aufgaben getragen werden – nicht, weil es dafür Applaus oder Auszeichnungen gäbe, sondern weil denen, die hier arbeiten und die sich hier engagieren, dieses Gemeindeleben wirklich etwas bedeutet.
Mittwoch, 18.06., der Abend eines langen Arbeitstages. Ich schreibe weiter an dieser Predigt, während ich auf der Dachterrasse des Pastorats sitze. Im großen Saal probt der Chor und die Lieder steigen wie ein Schimmer zu mir auf. Danke, dass ihr heute da seid. So ambivalent das Wohnen über dem Gemeindehaus für mich auch war, ich kann nicht beschreiben, wie schön und besonders es ist, all die Musik dieser Gemeinde mitzubekommen. Wenn ich nach Hause komme und jemand spielt Orgel in der Kirche. Oder wenn ich, wie jetzt oft, abends noch lange draußen sitze und die Posaunen üben.
In diesen Momenten möchte ich an keinem anderen Ort sein.
Samstag, der 21. Juni. Ich beende diese Predigt früher, als ich die meisten Predigten davor abgeschlossen habe. Oft, das möchte ich euch erzählen, streiche ich am Sonntagmorgen noch im Manuskript herum. Weil ich Dinge immer ganz schrecklich auf den letzten Drücker mache. Weil mir die Ideen immer erst ganz zum Schluss kommen.
Ich beende diese Predigt und will gar nicht, dass dieses Schreiben endet. Denn das ist und bleibt für mich einer der schönsten Teile meines Berufs. Das Gute ist, nach dem Schreiben kommt ja noch das Halten der Predigt. Und ich weiß nicht, wie oft ich mir, in Vorbereitung auf den heutigen Tag, dieses Halten ausgemalt habe.
Die Momente davor. Der Weg über die Stufen hoch auf die Kanzel. Mein Herz pocht. Kann ich transportieren, was ich denke? Geht die Form auf? Ich drücke den Mikrofonknopf und es herrscht gespannte Stille. Ich bin gespannt, ob das Mikro angeht und die Gemeinde ist gespannt, was ich sagen werde.
Eine Predigt halten - was für eine schöne Doppelbedeutung. Ich halte eine Predigt, eine Rede. Ich halte die Worte noch einen Moment fest, bevor ich sie schweben lasse.
Ich sehe die Zeilen vor mir und spüre die Erwartung, die den Raum füllt. Ich blicke in all die Gesichter. Vertraute Menschen. Wegbegleiter. Viele, die immer wieder kommen und mir erzählen, wie sehr sie meine Predigten schätzen. Ich möchte euch heute sagen, dass das für mich etwas ganz Besonderes ist. -
Gott mit Worten ein Haus zu bauen.
Sorgsam die Worte wählen und wiegen,
und dann, eins nach dem anderen, auf die Zeilen fädeln,
wie Perlen auf eine Schnur.
Gott mit Worten ein Haus bauen –
Satz für Satz aufeinander schichten,
und genug Lücken für Licht und Geist lassen.
Gott mit Worten ein Haus bauen,
oder mit Musik -
Nicht nur, um ihn darin zu finden.
Nicht, weil Gott das braucht.
Sondern auch,
weil wir uns darin manchmal finden.
Ich durfte hier viele Male Worte suchen,
Worte finden und mit Worten bauen
Und ich bin dankbar
Für das gemeinsame Suchen und Feiern,
für die Offenheit für neue Sprache und Formen,
für das Vertrauen und Zuhören.
Amen.









Anna, du bist eine Goldschmiedin der Worte, die es liebt, ihre Kunst in großen Kirchen auszustellen, aber noch viel lieber mit einem Zelt unterwegs ist, auf der Suche nach Neuem und Unbekanntem - und uns trotzdem nicht vergisst. Danke.