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Rechtsstreit mit Gott

Predigt über Micha 6, 1-8

Gehalten am 22. Sonntag nach Trinitatis, dem 27.10.2024

Ort: Kirche St. Gabriel, Hamburg Volksdorf


Wenn man einen komplexen und auch eher unbekannten Predigttext vor sich hat,

vor allem aus dem Alten Testament, dann gibt es mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen.


Option 1: Die Flucht. Man predigt einfach über etwas anderes.

Option 2: Die radikale Selektion. Man greift sich einen Satz, ein Motiv, einen Gedanken  – und spricht darüber. Nur darüber.

Option 3: Die klassische Auslegung. Man erklärt, kontextualisiert und – redet sich den Mund fusselig beim Versuch, nicht zu belehrend, nicht zu langweilig - aber doch historisch korrekt aufzudröseln, was damit wohl gemeint sein könnte.


Oder – und das möchte ich heute mal versuchen, man stellt sich als Pastorin gemeinsam mit der Gemeinde dieser Herausforderung, dass das erste Gefühl beim Lesen der Impuls war, das Buch einfach wieder zuzuklappen. Aber nein, man klappt gemeinsam wieder auf - und taucht zusammen ein.

Nicht nur in den Text – sondern – in die Geschichte.


Herzlich Willkommen, liebe Gemeinde, zum Rechtsstreit zwischen niemandem geringem als Gott selbst auf der einen Seite und seinem auserwählten Volk Israel - einst innig geliebt, dann als abtrünnig bezichtigt – auf der anderen Seite.

Verhandelt wird die Streitsache: Wer ist hier wem untreu? Wer enttäuscht hier wen?


In den Kapiteln zuvor ging es hoch her: Gott wirft der führenden Schicht in Israel und Juda vor, zu einem egoistischen, Macht- und geldgierigen Haufen verkommen zu sein.

Die Reichen werden immer reicher, auf Kosten der Armen, denen sie Äcker, Häuser und die Lebensgrundlage wegnehmen. Alle sind bestechlich; nicht Recht, sondern Geld regiert und das Volk hat vergessen, wo es herkommt. Hat seinen Gott vergessen – hat die Gebote vergessen, die er ihnen für gutes Zusammenleben gegeben hat - und folgt lieber falschen Propheten und Wahrsagern.


Dagegen steht die unausgesprochene Anklage des Volks im Raum: Gott ist nicht nahbar, sein Wille ist verschleiert, ständig entzieht er sich, antwortet meistens nicht, was tut er eigentlich genau für sein Volk? Andere Götzen sind greifbarer.


Nun steht es Wort gegen Wort, Gott hat aber noch ein Ass im Ärmel und sagt den folgenschweren Satz: "Man sieht sich vor Gericht, ihr wollt es so, lasst uns einen Rechtsstreit führen." An dieser Stelle steigen wir in die Szene ein.


Wir betreten den fiktiven Gerichtssaal, setzen uns still in den Zuschauerraum und analysieren, wie Jurastudenten im zweiten Semester, den Prozess.


**

Aufgeregtes, lautes Stimmengewirr. Der Prozess hat zwar noch nicht begonnen, es liegt aber schon viel aufgestauter Ärger in der Luft. Gott selbst – nimmt teil, ist schon in Streitgespräche verwickelt, einen Verteidiger hat er abgelehnt, er verteidigt sich selbst.

Und Kläger, das ist, man kann es nicht überhören, das Volk Israel. Sie sind zuhauf gekommen, vor allem die reiche Oberschicht, gehüllt in kostbare, perlenbestickte Stoffe, goldener Schmuck klimpert an ihren Armen. Und sie haben einiges mitgebracht: Schriftrollen, auf die sie wild gestikulierend tippen, alte Verträge, ein einjähriges Kalb.

Das kann ja was werden.


Die Stimme des Propheten Micha durchbricht den Trubel.

Micha, ist einer der kleinen Propheten, seine Schrift ist schnell durchblättert, aber manchmal vermag er mit wenigen Worten viel zu sagen. Dem Dörfchen Bethlehem verspricht er, dass ausgerechnet von dort der neue Messias kommen wird. Sein Ausruf „Schwerter zu Pflugscharen“ ist mittlerweile ein geflügeltes Wort.

Und nun setzt er wieder an. Hört Doch, was der Herr, was euer Gott zu sagen hat.


Gott beruft zunächst seine Zeugen, und weil er eben Gott ist, sind es nicht irgendwelche Zeugen, die er beruft, sondern - die Berge. Die Hügel. Die Grundfesten der Erde.


Nicht kleckern, sondern klotzen. Aber gut, die müssen es ja wissen, schließlich bestehen sie schon seit Anbeginn der Zeit, seid Tag 2 der Schöpfung. Und man sagt den Bergen, besonders ihren Spitzen nach, dass sie eine Verbindung zwischen Himmel und Erde herstellen.


(Fußnote: Man sagt den Bergspitzen übrigens auch nach, dass es dort ganz und gar nicht himmlisch, sondern windig und eiskalt zugeht, aber das war eine andere Predigt) –


Mit diesen Zeugen an seiner Seite fragt Gott nun: Was habe ich Dir getan, mein Volk – und erinnert Israel an sein Heilshandeln. Hat Gott sich nicht Israel gegenüber ständig als Gott erweisen, als Retter, als Beschützer, als jemand, der sein Wort hält und seinem Volk die Treue? Er erinnert das Volk an den Auszug aus Ägypten, als Gott das versklavte Volk befreit und von Mose bis an die Grenze des verheißenen Landes geführt hat. Allen Feinden zum Trotz, so viele Siege, so viel Segen, so viele Wunder – habt ihr das alles vergessen?


Und dann die Situation mit Balak, König der Moabiter, der Israel vom Seher Bileam verfluchen lassen wollte – habt ihr das auch vergessen, Israel, wie aus dem versuchen Fluch ein Segen wurde und ihr weiter ziehen konntet?


Die Berge – auf denen Gott Mittlern seines Volkes begegnete, die Berge, die älter sind als eure weisesten Männer zählen können, die können es bezeugen. Israel, mach doch mal die Augen auf – und erkenne, was Gott alles Gutes für dich tut! Ein Raunen geht durch den Gerichtssaal, Recht hat er, was kann man hierauf antworten?


Israel aber will das nicht hören und nicht sehen, beansprucht die Opferrolle für sich und steigert sich in eine Übertreibung hinein. Womit genau soll man sich Gott denn nähern, wie viel Demut ist genug? Ständig bekommt man gesagt, man macht etwas falsch, verstößt gegen ein Gebot – und soll etwas opfern - Reicht für das rechte Opfer ein einjähriges Kalb, wie viele tausend Widder dürfen es sein, bis Gott sich erhaben und geschmeichelt fühlt? Wenn wir doch ach so voller Sünde sind – wo bitte ist der Ausweg? 613 Gebote und Verbote im Alten Testament, die sich zum Teil widersprechen - da wird man doch irre - wie soll man in diesem Labyrinth aus Vorschriften den Weg zu Gott finden? Kein Wunder, dass wir uns hier unten selbst um unseren Reichtum kümmern, wenn Gott sich oben in den Bergen zwischen den Wolken versteckt und wir nicht wissen, welcher Weg zu ihm führt!


„Genau!“, ruft jemand im Zuschauerraum, „da sorgen wir lieber selbst für uns!“ – Das Volk redet durcheinander, der Lärm steigt – wer hat nun Recht?


Und dann ertönt die Stimme, die sich bisher zurückgehalten hat, dem Micha platzt der Kragen bei diesem Versuch Israels, sich herauszureden. Er springt von seinem Stuhl und ruft: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“ – und augenblicklich ist Stille im Gerichtssaal,

ist Stille in uns.


Mensch“ - er benutzt das hebräische Wort adam, das wir aus der Schöpfungsgeschichte kennen. Er sagt nicht: Volk Israel, er sagt nicht: ihr Reichen und Kläger, er sagt ganz universal: Mensch.


Micha, der Prophet, durchbricht die vierte Wand, wie man im Theaterjargon sagt,

er wendet seinen Blick aus der Szene heraus und spricht zu allen.

Zu den Zuschauern, die hofften, unentdeckt zu bleiben.

Zu den Theologiestudenten, die in einer verstaubten Universitätsbibiothek gerade fürs Examen lernen und das Buch Micha so unverständlich finden,

zu der Hausfrau, die täglich etwas in der Bibel liest und bisher dachte, das Alte Testament sei nur die Vorgeschichte,

zu dem Sinnsucher, der nicht weiter weiß und in der Bibel blättert,

zu der Pastorin, die über der Predigt brütet,

Und wir alle spitzen die Ohren, denn Micha blickt uns an und sagt:


"Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert:

nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott."


Liebe üben, das klingt bei mir nach.

Liebe üben, das meint eigentlich: Liebe ausüben,

aber in aller rhetorischen Freiheit nehme ich mir heraus, das so auszulegen:

Liebe einüben. Versuch zu lieben, wo Du nur kannst.

Anderen, dir selbst, Gott – mit Liebe zu begegnen.

Statt mit Hass und Neid, statt mit Egoismus und Streitlust.

Und Du wirst Segen spüren!

Denn darin laufen alle Gebote, alle Prophetenworte und alle Weisheiten zusammen

und diese Liebe, die Gott uns gibt und wir weitergeben

– können wir täglich in unserem Leben spüren.


Also Du, Mensch, wenn Du das nächste Mal meinst, mit deinem Gott richten zu müssen:

Vergiss nicht, was er Dir Gutes getan hast.

Tue dein Gutes dazu.

Und lobe den Herrn, meine Seele.

Amen.


Die Berge als Zeugen. Unwirkliche Landschaft in Südwales.
Die Berge als Zeugen. Unwirkliche Landschaft in Südwales.

Kommentare


Hans
29. Juni

Ich habe Micha 6, 1-8 gefunden, gelesen und gestaunt, wie gut es dir, Anna, gelungen ist, diese düstere, schwer verständliche Stelle mit wenigen Pinselstrichen und frischer Farbe in unsere Welt, in unser Leben zu übertragen. Große Kunst!

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